Das große Interview zum Thema Kinderfußball

Markus Wargenau: Den Kinderfußball nun in Konsequenz umzusetzen ist höchste Priorität

Die neuen Spielformen im Kinderfußball werden bundesweit zur Saison 24/25 verbindlich eingeführt. Der Kreis Gifhorn hat diesen Schritt seit Jahren vorbereitet und kann Rückblickend auf einen holprigen, aber final guten Weg schauen. Markus Wargenau weiß als Kinderfußball Beauftragter und Staffelleiter der G-, F- und E-Jugend in Gifhorn, sowie Trainer einer U10 in seinem Verein, dass die Erfolgsfaktoren für die Reform die Kommunikation und die konsequente Umsetzung sind. Zusätzlich gibt er einen Ausblick wie sich der Kreis Gifhorn auf die Fortführung des Veränderungsprozesses vorbereitet.

 

Sven Bärensprung (Öffentlichkeitsarbeit NFV Kreis Gifhorn): Markus, du bist seit dieser Saison im Kreis Gifhorn als Staffelleiter im Kinderfußball tätig. Wie hast du dich in das Thema eingearbeitet?

Markus Wargenau (Kinderfußball Beauftragter NFV Kreis Gifhorn): Im Grunde brauchte ich mich nicht einarbeiten. Als Trainer einer Jahrgang-2014-Mannschaft und Jugendleiter im VfL Knesebeck habe ich mich seit 2020 mit der neuen Spielform auseinander setzen müssen. In Gifhorn hat der Jahrgang 2014 die Reform aus der G-Jugend hochgeschoben. Meines Erachtens eine super Entscheidung der Verantwortlichen um Sven Stuhlemmer (Kreisjugendobmann Gifhorn) damals. Daher war ich als Trainer, einer dieser Teams, an der Sperrspitze der Änderungen. Mit der Funktion des Kinderfußallbeauftragten habe ich nur zusätzlich eine neue Sichtweise eingenommen.

 

Sven: Du bist seit dieser Saison (23/24) im Amt. Wie hat sich den die Sichtweise verändert?

Markus: Ich habe an verschiedenen Stellen etwas über die Gründe der Umstellung gehört. Aber sich damit intensiv zu beschäftigen, dafür fehlte die Zeit. Ich war als Trainer mit vielen anderen Themen beschäftigt. Ich hatte einige Trainerkollegen aus unserem Kreis, aber auch in Nachbar-Kreisen und -Verbänden, die die Reform als unsinnig abgetan haben. Damals hatte ich nicht genügend Informationen um dagegen zu halten.

 

Sven: Und jetzt ist das anders?

Markus: Ja, ich habe eine richtige Passion entwickelt und daher viel Input gesammelt: Wir haben in Gifhorn mit vielen anderen Kreisen gesprochen. Auch außerhalb des NFV. Mit dem VfL Wolfsburg gibt es einen starken Partner in unserer Nachbarschaft, der seine Ziele u.a. in Richtung Kinderfußball ausgerichtet hat. Über den VfL haben wir Kontakt zu Matthias Lochmann (Uni Erlangen) bekommen, der sich seit über 10 Jahren mit der Entwicklung der neuen Spielform im DFB beschäftigt. Von Matthias konnten wir viele Grundprinzipien mitnehmen. Dann sind wir noch im Austausch mit Markus Schenke (Verbandjugendobmann des NFV) der das Thema positiv vorantreibt. Zusätzlich haben wir in Gifhorn alle Beteiligten aufgefordert, uns ständig Feedback über gute und noch nicht so gute Umsetzungen zu geben. Das Ganze haben wir sogar mit einer Gifhorner Kinderfußball-Umfrage auf die Spitze getrieben. Knapp 400 Teilnehmer haben daran teilgenommen. Das Feedback war direkt aber sensationell hilfreich.

 

Sven: Was waren den die Rückmeldungen?

Markus: Die Rückmeldungen haben wir in die Untergruppen „Kommunikation“ und „Umsetzung“ geteilt. Fangen wir mal mit der Kommunikation an: Wir sind in Deutschland, und somit auch im DFB, föderalistisch aufgestellt. Das heißt, dass Ideen- und Impulsgeber beim Bund sehr stark auf die Umsetzung in den Verbänden und die wiederum in den Kreisen angewiesen sind. Das macht es für den DFB schwierig Vorgaben umgesetzt zu bekommen, aber auch für die Umsetzer in den Kreisen, fehlen irgendwie durch die Ferne die Informationen. Mittlerweile gibt es überall Podcasts, Bücher und Artikel. Im Besonderen ist unsere Chef-Entwickler im DFB, Hannes Wolf, „on Tour“ und erklärt überall den Weg. Mit diesen Inputs und dem Engagement diese auch aufzunehmen, haben wir in der Kommunikation nun einiges angepasst.

 

Sven: Und was macht ihr jetzt anders?

Markus: Als aller Erstes wollen wir das WARUM in die breite Masse bringen. Wir bieten den Vereinen an, für einen Abend vor Ort den Trainern und Eltern die neue Spielreform zu erklären. Dabei wollen wir direkt auf Fragen Antworten geben. Das hätten wir uns früher nicht getraut, da wir selber nicht sicher in den Argumenten waren. Zusätzlich werden wir bei uns im Kreis „Stammtische“ zum Kinderfußball anbieten. Dort soll Platz für aktuelle Sorgen und Nöte sein um den Blick für nötige Feinjustierungen nicht zu verlieren. Des Weiteren wollen wir über unsere Internetpräsenz und unseren hiesigen Socialmedia-Accounts Informations-Plattformen schaffen.

 

Sven: Das klingt nach viel Arbeit. Du hattest auch den zweiten Teil schon angesprochen; die Umsetzung.

Markus: Richtig. Durch die bisherigen Vorgaben zur Reform haben alle Kreise einen Rahmen bekommen. Die Umsetzungen sind bisher sehr unterschiedlich verlaufen. Wir haben im Kreis Gifhorn früh entschieden, dass wir keinen parallelen Spielbetrieb in der G und F anbieten werden. Diese Konsequenz war richtig und gilt für mich als einer der inhaltlichen Erfolgsfaktoren. Aber wir hatten beispielhaft bei den Themen Organisation, Flexibilität, homogene Spielpaarungen, Anzahl Spiele und Spielzeit noch Steigerungspotential.

 

Sven: Was den konkret?

Markus: Zum Beispiel haben wir die alten Regeln mit der neuen Reform vermischt und die Festspielregel in den 3vs3 Spielen angewendet. Nach heutiger Erkenntnis ein Unding. Aber auch die Meldung über das DFBnet ist aktuell noch nicht auf die neuen Spielformen ausgerichtet. Dies soll sich zentral ab der neuen Saison ändern, da gerade ein Kinderfußball-Modul in der Frankfurter DFB-Zentrale entwickelt wird.

 

Sven: Wie seid ihr konkret vorgegangen?

Markus: Wenn man sich die Grundprinzipien und Ziele der Kinderfußball-Reform anschaut und versucht diese mit wissenschaftlichen Erkenntnissen in eine Spielform umzusetzen, kommt man unweigerlich in allen betreffenden Facetten auf einen 100% Umsetzungs-Ansatz. Wenn ich die 100 % kenne, anstrebe und nur in Nuancen davon abweiche, weiß ich erstens warum ich abweiche (und das hilft mir wieder in der Kommunikation) und zweitens bin ich trotzdem nah an der perfekten Lösung.

 

Sven: Kannst du noch mal auf die kritischen Feedbacks eingehen?

Markus: Ja, das waren die wichtigsten Rückmeldungen. Ich möchte an drei Kritikpunkten mal festmachen, wie wir damit umgegangen sind. Zwei Kritiken waren, dass wir keine Torhüter ausbilden und die Kinder auf große Tore spielen wollen. Zur nächsten Saison werden wir innerhalb unserer F-Events auch Plätze mit 3+1 vs 3+1 auf zwei zentrale abgehangene Jugendtore erlauben. Je nachdem wieviel Jugendtore dem Ausrichter zur Verfügung stehen, können 1 bis 3 solcher Plätze der insgesamt 8 aufgebaut werden. Einige Kritiken besagten, dass die Kinder Tabellen haben wollen. Da sind wir uns aber mittlerweile einig, dass es zu diesem Punkt keine Umsetzung geben wird. Wir ahnen das Tabellen die Eltern und Trainer wollen. Letztere für ihre eigene kurzfristige Rückmeldung ihres Trainerdaseins. Den Kindern reicht die mehrmalige Rückmeldung ihrer Leistung je Event anhand der Ergebnisses und dem Auf- oder Abstieg im Champions-League-Modus. Hier müssen wir im KJA als regulativ wirken und eher in die Erklärung im Part Kommunikation gehen.

 

Sven: Werden demnächst alle im Kreis Gifhorn hinter euch stehen.

Markus: Nein, das ist illusorisch. Und das ist eigentlich auch nicht gewollt. Es braucht immer die kritischen Stimmen um sich ständig weiterzuentwickeln. Vernünftige Oppositionen sind immer ein ganz wichtiger Bestandteil eines Prozesses.

 

Sven: Wie zum Beispiel die Kritiken einiger berühmter Personen?

Markus: Mit denen ist es etwas anders gelagert. Aufgrund der Aussagen die dort getroffen wurden ist anzunehmen, dass diese Personen sich nicht inhaltlich mit den neuen Spielformen auseinander gesetzt haben. Dies haben viele Befürworter der Reform genutzt, um das Gesagte in ein richtiges Licht zu rücken. Und die Medien haben das wohlwollend aufgenommen. Im Grunde hat die Kommunikationsoffensive mit diesen Stimmen erst richtig begonnen. Daher glaube ich das die polemische Kritik mit der richtigen Reaktion sehr geholfen hat.

 

Sven: Es scheint als hättet ihr euch viele Gedanken gemacht, um den Fußball in Gifhorn ins nächste Level zu bringen. Bis jetzt haben wir viel über die G- und F-Jugend im 3vs3 gesprochen. Was passiert den nun ab der E-Jugend?

Markus: Die 2014er, die die Reform nach oben schieben, sind in der aktuellen Saison die U10 also in der jungen E-Jugend. Ab der nächsten Saison sind die 2014er in der älteren E und wir haben unseren Meilenstein erreicht. Wir setzen in der aktuellen uE-Saison schon das 4+1 vs 4+1 in Spieltagen um. Zwar wäre laut Vorgaben des DFB auch ein 6+1 vs 6+1 erlaubt, aber nach dem Grundprinzip „je kleiner das Feld, je mehr Ballkontakte für alle und umso besser die Ausbildung“ ist die Entscheidung einfach ab der nächsten Saison mit der kompletten E-Jugend 4+1 vs 4+1 zu spielen.

 

Sven: Und dann gehen die 2014er in der Saison 25/26 in die D-Jugend und alles ist wieder beim Alten?

Markus: Nein, die Reform muss und wird schon weitergedacht. Hannes Wolfs spricht in verschiedenen Runden von der „Trainingsphilosophie Deutschland“. In der heißt es, dass bis zur A-Jugend und sogar darüber hinaus im Training die kleine Spielformen weitergeführt werden müssen. Und bei der D-Jugend pfeifen die Spatzen schon von den Dächern, dass es auch hier bald zentrale Vorgaben für ein 6+1 vs 6+1 anstatt des 8+1 vs 8+1 geben wird. Es gibt sogar schon Verbände in Deutschland, wie z.B. der Verband Mittelrhein oder der Südbadische Verband, die die neue Spielformen in der D und C jetzt schon beschlossen haben. Einige europäische Nachbarn, wie z.B. Belgien, Schweiz und Österreich, sind in der Umsetzung teilweise Jahre voraus.

 

Sven: Abschließend noch die Frage an dich, was sind deine Wünsche und Visionen für die Zukunft?

Markus: Die konsequente Umsetzung der neuen Spielform in allen Kreisen des NFV muss nun höchste Priorität haben. Mit dem Ansatz alle Kindertrainer mit dem Kindertrainer-Zertifikat (KiTZ) auszubilden geht auch die Trainerausbildung in die richtige Richtung. Zukünftig müssen wir das Ausbildungskonzept unserer Talente an die neuen Spielformen anpassen und standardisieren. Wenn dann noch der der kreisübergreifend Spielbetrieb die Reform umsetzt, hätten wir in Summe schon viel geschafft.